Klavier von Valentin Berdux, 1896 in München gebaut

Sie hören die Aufnahmen eines 1896 in München von Valentin Berdux gebauten Klaviers. Die Konstruktion unseres Pianos ist bereits modern. Das heißt, sie entsprach dem technischen Stand, der seit circa 1870 erreicht war, auf dem im Wesentlichen auch unsere heute gebauten Klaviere stehen: Es handelt sich um einen so genannten Kreuzsaiter, der eine Klaviermechanik mit einer Unterdämpfung hat.

Unterdämpfung Kreuzsaiter

Bei Wikipedia liest man über den Klavierbauer Valentin Berdux nur Gutes! Unter anderem findet man dort den Hinweis, dass es sich um eine Manufaktur der Kategorie Hof-Pianofortefabrik gehandelt hat, die auch ihre Klaviermechaniken nicht nur selbst hergestellt hat, sondern für diese auch außergewöhnlich viele Patente besaß.

Berdux Hof-Pianoforte-Fabrik

Nun, die Klaviermechanik selbst wies keine Besonderheiten auf. Doch die Klaviatur hatte eine Besonderheit, die sonst nur bei hochwertigen Flügelklaviaturen zur Anwendung kommt. Darauf komme ich weiter unten zurück.

Wie immer erfolgt zuerst das Probespielen vor dem Stimmen, um den Ist-Stand zu dokumentieren. Doch dabei ist mir etwas seltsames passiert. Unterm Spielen bemerkte ich, dass das soeben Gespielt so klang, wie das unmittelbar davor Gespielte. Lag es an der Verstimmung? Hatte ich mich verspielt? Oder hatte ich zufällig eine Art von Shepard-Skala konstruiert, also eine scheinbar immer ansteigende Tonleiter? Von diesem interessanten Phänomen berichtet in einem sehens- und hörenswerten Vortrag der Neurowissenschaftler Michael Majeda in einem am 01.01.2016 in der Alten Oper in Frankfurt gehaltenen Vortrag mit dem Titel Das Gehirn am Klavier (ab 1 Stunde 09 Minuten 55 Sekunden über akustische Täuschungen), den man bei Youtube als Video sehen kann.

Beim Probespielen verspielt

In meinem Fall führte dieses erstaunliche Ergebnis zum Abbruch meines Probespiels. Das zeigt wiederum, was die Verstimmung sowie die auch in der Aufnahme hörbaren akustischen Störungen mit unserer Konzentration machen. Das Ergebnis ist insofern erstaunlich, da es sich um eine schlichte Tonfolge handelt, die ich vor und nach jeder Stimmung und somit ziemlich oft spiele. Es handelt sich um keine hochkomplexe Komposition. Und dennoch verliert man quasi seinen roten Faden in der Verstimmung und anderen Geräuschen. Daher ein neuer Versuch nun mit voller Konzentration auf den korrekten Ablauf:

Berdux verstimmt + trommelnd

Haben Sie gehört, dass das Klavier in sich um einen halben Ton verstimmt ist? Nein, zu dieser objektiven Einsicht gelangt man erst, wenn man ein Frequenzmessgerät zur Hilfe nimmt. Daher heißt es Vorstimmen. Im ersten Schritt werden die unterschiedlichen Tonhöhen einander angeglichen, damit die anschließende Endstimmung ganz normal die Stimmung hält.

Ihnen ist als geübten Hörer der Hörbeispiele der Klavierstimmerei Praeludio® natürlich längst aufgefallen, dass die Hämmer dieses Klaviers trommeln. Das heißt, sie schlagen mehrfach die Saiten an. Dieser Effekt unterliegt allerdings nicht der Willkür des Spielers. Die mangelhafte Regulierung der Klaviermechanik entzieht diesen Effekt meiner Spielkontrolle. Die einzige Möglichkeit, diese hörbare Eigenart doch noch zu kontrollieren, besteht darin, die Tasten stark anzuschlagen. Das heißt wiederum in der Konsequenz, dass mir das leise Spielen verleidet wird. Denn bei dem Versuch, dem Piano die zarten Töne zu entlocken, werde ich mit dem unerwünschten Trommel-Effekt der beliebig oft anschlagenden Hämmer bestraft.

Dieser Effekt der mehrfach anschlagenden Hämmer stört natürlich beim Stimmen. Rein theoretisch müsse man daher zuerst die Mechanik regulieren, und erst dann das Klavier stimmen. Aber nachdem der Effekt dem Käufer des Klaviers aufgrund der gravierenden Verstimmung vorher gar nicht aufgefallen ist, kann man seine Kunden auch nur schwerlich davon überzeugen, zuerst einem Zusatzgeschäft zuzustimmen, bevor man weiß, ob sich das ganze Projekt überhaupt lohnt. Also ordnet man beim Stimmen die so entstehende Geräuschkulisse als eine der Störungen ein, die man mittels Filtern des Gehörs sowie durch konzentriertes Weghören versuchen muss, zu ignorieren. Im Klartext bedeutet das aber einen erhöhten Aufwand an Konzentration. Es handelt sich um eine besondere Fähigkeit von gut trainierten Klavierstimmern, die diese als Standardleistung mitbringen müssen. Hohe Konzentration über einen längeren Zeitraum ist aber nicht ökonomisch, da unser Gehirn dabei unverhältnismäßig viel Energie verbraucht. Der Preis ist eine entsprechende Erschöpfung, weshalb man im allgemeinen davon ausgeht, dass man nicht mehr als vier Klaviere an einem Tag stimmen kann.

Nach dem Stimmen erfolgt wieder die Dokumentation der Bemühungen. Sie hören das Klavier auf den zu Lebzeiten Johann Sebastian Bachs in Deutschland üblichen Kammerton von 415 Hertz gestimmt. Selbstverständlich hören Sie immer noch das Trommeln.

Berdux gestimmt und trommelnd

Beim Stimmen ist mir ein auf die Tasten gestempelter Text aufgefallen:

Berdux Mechanikpatente

Zuerst dachte ich, man meint die einstellbaren Tasten und fand das Patent eine Übertreibung. Doch dann bemerkte ich den Hinweis, dass hier der Klaviaturrahmen gemeint war. Ein genauer Blick darauf ergab, dass in der Mitte der Klaviatur, auf dem so genannten Waagebalken, wie bei hochwertigen Flügelmechaniken Schrauben angebracht sind, mit deren Hilfe man mit relativ geringem Aufwand die Einstellungen der Klaviatur verändern kann.

Berdux Patent am Waagebalken der Klaviatur

Derartige Einrichtungen nennt man servicefreundlich, da sie den Service geradezu dazu einladen, die notwendigen Einstellungen durchzuführen. Nach diesen Einstellungen war das störende Trommeln weg. Nachdem ich noch einen auffällig scharfen Ton an der Diskantspreize intoniert hatte, war unser Klavier nicht nur gestimmt, sondern spielte sich auch völlig verändert. Das lädt wiederum den Klavierspieler dazu ein, seine Idee der Interpretation des Stücks zu realisieren, was man im Vergleich den Aufnahmen anhört.

Zu dieser Ansicht kam auch mein zuhörender Auftraggeber. Der Grad der Veränderung überstieg bei weitem seine Erwartung. Denn ihm war schon beim Kauf bewusst, dass er ein altes Klavier gekauft hatte, dass aufgrund der Verstimmung unter Umständen nur noch als Kulturmöbel aber nicht mehr als ein Musikinstrument taugen würde.

Berdux als Kulturmöbel

Als ich dann vor dem Stimmen anhand der Seriennummer auch noch recherchierte, dass dieses Instrument 1896 gebaut worden ist, schwanden genau genommen die Hoffnungen des Klavierbesitzers auf den positiven Ausgang seines Wagnisses. Er hatte sich beim Klavierkauf etwas getraut. Und ihm war das Risiko bewusst. Die nun zu erwartende negative Nachricht vorwegnehmend akzeptierte er vermutlich diese Gefühlslage schon mal im Vorfeld, damit es ihn am Ende nicht umwirft. Umso größer war daher die positive Überraschung und umso stärker die Begeisterung, als das schier Unglaubliche doch noch eingetreten war!

Berdux 415 Hertz gestimmt

Zum Schluss wieder ein mal das Beweisfoto, das uns ohne viel Worte den aktuellen Stand der Klavierindustrie eindrucksvoll veranschaulicht: Das Bild von den beiden Pedalen, von denen das rechte Tonhaltepedal wie so oft intensiv genutzt und das linke Pianopedal, zuständig für die Optimierung der leisen Passagen, scheinbar komplett vernachlässigt worden ist. Das ist kein Einzelfall, sondern Standard. Ein Bild, das sich seit über 100 Jahren ständig wiederholt, aber noch keinen Klavierhersteller dazu animiert hat, etwas zu ändern. Zur Änderung hätte die Klavierindustrie angesichts der in diesem Zeitraum erheblichen Umsatzeinbußen jede Menge Gründe gehabt. Warum nur haben die Klavierproduzenten so wenig Interesse an den sensiblen Bedürfnissen ihrer Kunden?

Berdux Klavierpedale
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